Manuel Neuer steht wieder einmal dort, wo er sich fast schon zuhause fühlt: im Mittelpunkt der Diskussionen. Mit 39 ist er längst im Spätherbst seiner Karriere, aber auf dem Platz spielt er, als würde die Uhr für ihn anders ticken – wochenlang Weltklasse, jetzt ein kleiner Aussetzer in London. Zwischen „Wahnsinn, was du in dem Alter noch leistest“ und „Lässt sich sein Alter anmerken“ liegen beim Bayern-Kapitän manchmal nur 90 Minuten.

Der Patzer gegen Arsenal ist für viele der endgültige Beweis einer einsetzenden Altersschwäche. Für andere ist er nur die logische Kehrseite eines Keepers, der unter Vincent Kompany so hoch und so mutig spielt wie nie zuvor. Während in Talkshows und Kommentarspalten weiter von einem möglichen DFB-Comeback zur WM 2026 fantasiert wird, hat Neuer seine Entscheidung längst getroffen – Rücktritt aus der Nationalmannschaft, voller Fokus auf den FC Bayern.

In dieser SLALOM-Ausgabe beleuchten wir Neuers Gegenwart: zwischen Weltklasse und Wacklern, zwischen Bayern-Zukunft und DFB-Vergangenheit, zwischen Held und Sündenbock. Außerdem blicken wir in unserer Sechserkette auf sechs Spieler, die in hohem Alter erst so richtig loslegten.

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„Welcher Fehler?“ Zur Szene beim 1:3 in der Champions League gegen Arsenal hat Kompany eine klare Meinung: Manuel Neuer hat keinen Fehler ... See more

SLALOM-Sechserkette

In der heutigen SLALOM-Sechserkette geht es um Spieler, die im Herbst ihrer Karriere nochmal so richtig aufblühten, die wie ein guter Wein reiften, die Raupe Nimmersatten:

  1. Claudio Pizarro
    Pizarro hat 2020 in Bremen aufgehört, nachdem er sich jahrelang zwischen Weser und Isar zum dienstältesten Torjubler der Liga gemacht hatte. Als ältester Torschütze der Bundesliga-Geschichte und heutiger Klubbotschafter wirkt er so, als könnte er jederzeit nochmal für die letzten zehn Minuten in Stollen schlüpfen, wenn Werder dringend ein Tor braucht.

  2. Zé Roberto
    Zé Roberto spielte noch Profi-Fußball, als seine ehemaligen Mitspieler schon längst in Trainerjacken rumliefen. Vom Offensivkünstler zum Strategen und Spielgestalter im Senioren-Topkörper, heute Geschäftsmann, Fitness-Ikone und der lebende Beweis, dass ein „Rentnerbauch“ offenbar optional ist.

  3. Jens Lehmann
    Lehmann stand noch im hohen Fußballeralter im Tor, als andere in seinem Jahrgang nur noch beim Altherren-Hallenmasters aufliefen. Nach Karriereende probierte er sich als Torwarttrainer, Co-Trainer, Aufsichtsrat und gelegentlicher Nachbarschaftsschreck – der einzige Keeper, der auch in Zivil noch aussieht, als würde er gleich jemanden im Fünfer zusammenstauchen.

  4. Luka Modrić
    Modrić wird seit Jahren verabschiedet und antwortet darauf einfach mit der nächsten Saison auf Topniveau. Erst Taktgeber und Rekordspieler bei Real, dann mit knapp 40 in der Serie A immer noch der Mittelfeldchef, der das Tempo bestimmt, indem er selbst so spielt, als hätte sein Körper die Zeitlupe als Standardgeschwindigkeit eingestellt.

  5. Zlatan Ibrahimović
    Zlatan hat bei Milan im hohen Alter noch eine Meisterschaft mit angeschoben, als hätten seine Knie keine Gebrauchsanweisung gelesen. Nach Karriereende ist er als Berater und Macher im Klub unterwegs und strahlt dabei genau die gleiche Energie aus wie früher im Strafraum: Wer mit ihm in einem Raum ist, weiß, dass die Luft dünn wird, aber die Storys gut.

  6. Gianluigi Buffon
    Buffon stand gefühlt ein halbes Jahrhundert im Tor, bevor er bei Parma endgültig Schluss machte. Heute läuft er im Anzug an der Seitenlinie der Nationalmannschaft herum, wirkt aber immer noch so, als könnte er sich zur Not die Handschuhe überziehen, wenn der aktuelle Keeper einen schlechten Tag hat. Wenn Zeit jemals gegen einen Torwart verloren hat, dann gegen ihn.

Eine letzte Kurve

Manuel Neuer ist 2025 kein Denkmal im Zerfall, sondern ein Weltklassetorwart im Spätherbst seiner Karriere, der unter maximalem Risiko Fußball spielt und ständig mit seiner eigenen, unerreichbaren Version von 2014 verglichen wird. Wer heute über ihn spricht, nimmt nicht Baumann oder Nübel als Maßstab, sondern den Algerien Neuer. In diesem Vergleich kann er nur verlieren, auf dem Platz tut er das jedoch erstaunlich selten. Die Szenen von London sind dafür ein gutes Beispiel. Beim 1:0 kommen Pech, körperlicher Kontakt und eine brutal geschlagene Ecke zusammen, beim 3:1 zahlt er den Preis für einen Ansatz, bei dem Bayern faktisch ohne Absicherung spielt und den Torwart bewusst ins Eins gegen eins mit einem der schnellsten Flügelspieler Europas schickt. In derselben Partie zeigt Neuer aber wieder Reflexe und Lösungen, die kaum ein anderer deutscher Keeper hat. Statistiken und Auge sagen deshalb das Gleiche. Er hat in vielem etwas nachgelassen, bleibt aber im Gesamtpaket der mit Abstand kompletteste deutsche Torhüter.

Die Nationalmannschaft ist ein anderes Kapitel. Dort ist seine Geschichte auserzählt, sportlich und symbolisch. Neuer hat das Torwartspiel revolutioniert und Deutschland zum WM-Titel geführt, aber seine Zeit als Kapitän steht für eine verlorene Zeit mit frühen Turnier K.o.s, verpasstem Umbruch und auffälliger Sprachlosigkeit in schwierigen Momenten. Der Rücktritt nach der EM 2024 war folgerichtig, ein Comeback zur WM 2026 wäre vor allem Nostalgie und würde wieder einmal den längst überfälligen Übergang zur nächsten Generation verschieben. Dass die Diskussion trotzdem immer wieder aufflammt, sagt mehr über die deutsche Sehnsucht nach früheren Gewissheiten und über mediale Mechaniken aus als über eine sportliche Notwendigkeit.

Für den FC Bayern dagegen ist Neuer Gegenwart. Solange seine Physis hält und er selbst die innere Bereitschaft spürt, gibt es sportlich gute Gründe für ein Modell mit kurzen Verträgen, klarer Planung und einem parallelen Aufbau von Urbig sowie einer ehrlichen Lösung in der Causa Nübel. Neuer ist dabei keine romantische Abschiedsfigur, sondern die zentrale Figur eines Hochrisiko-Fußballs, der ohne einen Torhüter seiner Klasse kaum funktionieren würde. Die SLALOM-Position ist deshalb klar. Neuer ist nicht das Problem. Er ist ein fast 40-jähriger Weltklassetorwart, der in einem maximal fordernden System spielt und an der perfekten Version seiner eigenen Vergangenheit gemessen wird. Die eigentliche Aufgabe liegt bei Bayern und beim DFB. Sie müssen lernen, mit einem Ausnahmespieler im Herbst seiner Karriere klüger umzugehen, als sie es in den Jahren nach 2014 oft getan haben.

Danke, dass du SLALOM heute begleitet hast. Wir hoffen, die Kurve hat sich gelohnt.

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Bis nächsten Montag!

Dein SLALOM-Team

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